Gestern war ich gemeinsam mit Freund_innen in Wien in der Votivkirche, um die Refugees zu besuchen, aber auch um mir endlich in der Sache eine Meinung vor Ort zu bilden. Organisiert haben wir das über PANGEA, waren zu viert und haben es erfreulicherweise auch geschafft, einen über Spenden finanzierten Laptop mit Internetzugang mitbringen zu können. Danke an alle, die sich daran ganz spontan beteiligt haben! Der Laptop ist gut angekommen und nach einem Anruf heute weiss ich, dass er schon im Einsatz ist.
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Ich habe auch fotografiert, aber die schöneren Fotos hat Noora gemacht.
Mazda oder Menschenrechte
Kaum aus der U-Bahn ausgestiegen in Wien, wurden wir von einer großen Auto-Werbung auf der Votivkirche empfangen. So sinnvoll es wohl ist, dass die Kirche Kirchenrenovierungen auch mit Werbung finanziert, so absurd kommt das in der aktuellen Situation an. Spontan habe ich mir gedacht, dass da was von Menschenrechten drauf stehen müsste. Dass dem nicht so ist und die Schilder der Refugees in der Kirche viel bescheidener sind, ist die kapitalistische Realität, die Profit vor Menschen setzt :-(
Warmer Tee, Decken und Heizstrahler
Sehr herzlich wurden wir von den Refugees in der Kirche empfangen. Natürlich ist das für alle Beteiligten eine etwas merkwürdige Situation, weil wir uns nicht gekannt haben – aber das hat sich ganz schnell aufgelöst und wir sind gut miteinander ins Gespräch gekommen. Auf Englisch ist das überhaupt kein Problem, manche sprechen auch ganz gut Deutsch. Wir haben guten warmen Tee bekommen und gute Tipps gegen die Kälte. Gleich waren wir auch eingeladen, die Schuhe auszuziehen und unter die Decken zu kommen. Da drunter sind auch Heizstrahler bzw. gibt es Heizdecken. Darunter wird einem dann schon irgendwie an einem Eck des Körpers warm - richtig anstrengend war aber schon nach wenigen Stunden dauernd die kalte Luft zu atmen. Wie das Tag und Nacht ist, kann ich mir gar nicht vorstellen. Der Gang auf die zwei Dixi-Klos im Eingangsbereich der Kirche ist unangenehm kalt und auch ekelhaft, das wärmere Klo in der Kirche ist aber abgesperrt. Schockiert hat mich auch, dass das Licht in der Kirche auch nachts nicht abgedreht wird - das führt wohl dazu, dass die Refugees immer mehr das Gefühl für Tag und Nacht verlieren und nicht nur wegen des Hungerstreiks viel auch tagsüber schlafen. Vielleicht gerade wegen der Improvisiertheit in der Kirche ist mir die Gastfreundschaft der Refugees so eindrücklich geworden.
Miteinander reden und zuhören
Die meiste Zeit haben wir genutzt, zuzuhören und miteinander zu reden: über die Ignoranz der Politik, die Wichtigkeit des selbstorganisierten Protests, das improvisierte Leben in der Kirche und die persönlichen Wege der Refugees. Manchmal weiss auch einfach niemand mehr etwas zu sagen. Und doch ist es gut, da zu sein. Manche haben das Asylsystem auch schon in anderen europäischen Ländern erlebt. Sehr deutlich ist mir geworden, dass diese Männer wissen was sie tun. Sie haben einfach keine Alternative und hoffen auf eine Lösung, zu der sie gerne alles beitragen, was sie können. Die Lösung kann aber in Konsequenz nur von den politisch Verantwortlichen kommen. Die Refugees sind dankbar für jede Unterstützung, aber haben verständlicherweise ein gutes Stück Distanz zur Politik und grossen NGOs.
Der Normalbetrieb alltäglicher Solidarität
Wir haben eine junge Ärztin getroffen, die Suppe für die Refugees gekocht hatte und gemeinsam mit einer Freundin in die Kirche brachte. Zwei Frauen sind gekommen und haben Wäsche zum Waschen abgeholt und saubere Wäsche gebracht. Der Deutschunterricht musste am Samstag erstmals ausfallen, weil die Refugees zu schwach dafür waren und sich nicht genug konzentrieren konnten. Am Montag wird es trotzdem wieder das Angebot geben. Andere sind einfach gekommen, um zu reden und da zu sein - genauso wie die Mitarbeiter_innen der Caritas. Alle Supporter_innen haben sich gefreut, andere zu sehen, die an irgendeinem anderen Eck mithelfen; manches kommt von solidarischen Privatpersonen, denen die Refugees einfach ein Anliegen sind, manches kommt von den grossen Hilfsorganisationen. Wichtig war den Refugees zu sagen, dass der Tee, den sie uns angeboten haben, von ihnen selbst gemacht wird. Während unseres Besuchs mussten wir auch erleben, dass zwei hungerstreikende Refugees ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Da haben sich ein Arzt, die Caritas und die Johanniter sorgsam und kompetent drum gekümmert.
Im Haus Gottes
Immer wieder werden die Refugees gefragt, warum sie denn in keiner Moschee Zuflucht gesucht hätten - als ob da direkt neben dem Sigmund-Freud-Park eine Moschee wäre. Die Refugees nehmen sehr bewusst die Votivkirche als Haus Gottes wahr und behandeln das Haus mit dem nötigen Respekt. Trotzdem ist, selbst wenn, wie bei unserem Besuch, kein Gottesdienst ist, die Atmosphäre skurrill: Die hohen, neugotischen Räume und das Matratzenlager im Seitenschiff. In der einen Ecke hängen die Tafeln des Kameradschaftsbundes, in der anderen Ecke gibt es einen Erinnerungsort für den Seligen Franz Jägerstätter. Ich persönlich kann mir unmöglich vorstellen, wie da jemand Gottesdienst feiern kann und so tun kann, als ob die Menschen im Seitenschiff Luft wären: für mich ist das eine Pervertierung des Christlichen - denn zuallererst sind die Menschen heilig und nicht Räume oder offenbar erstarrte sinnentleerte Rituale. Da bin ich einer Meinung mit den Refugees: es geht uns allen im Kern, egal um ob Moslems oder Christ_innen, um Gott und um ein würdevolles Leben für alle Menschen. Ich verstehe schon, dass das für die konkrete Pfarrgemeinde nicht einfach ist, aber mir ist nicht nachvollziehbar, wie jemand solche Texte aufhängen kann und dann nicht merken, dass die Wärme, vielleicht nicht gerade gemütlich, aber doch, unter den Decken und im Gesicht der Refugees ist. Jenen, die da gerade da sind und nicht abstrakt irgendwo. Bei der heutigen Reaktion der Refugees auf die Provokation einer rechten Gruppe habe ich mich stark an manche Gleichnisse Jesu erinnert gefühlt: Der hat es auch verstanden, schwierige Situationen mit Menschenfreundlichkeit und Respekt für alle Menschen aufzulösen und genau daraus Autorität und Anerkennung bei seinen ersten Anhänger_innen gewonnen. Das wäre wohl auch der Weg, wie Kirche endlich wieder Profil gewinnen würde: nicht durch Herumlavieren, noble Zurückhaltung oder als vermeintlich "neutrale" Moderatorin, sondern durch eine klare und pointierte Haltung für Menschenrechte – für wirklich alle. Da ist manch Gutes in den letzten Wochen passiert - aber angesichts der Situation denke ich auch, dass da mehr möglich wäre - durchaus auch in Kooperation mit allen Menschen guten Willens, ganz egal, ob sie nun Christ_innen sind oder nicht.
"We are sorry ..."
Nachdem ich im Vorfeld schon viel über die Zugangskontrollen (maximal 5 Supporter_innen) erfahren hatte, habe ich mit der Caritas Kontakt aufgenommen, um zu klären, wie das bei unserem Besuch läuft. Da ist herausgekommen, dass es definitiv keine Ausnahmeregelung gibt. Vor Ort hatten wir dann aber Glück und sind gleich in die Kirche rein gekommen, weil gerade nicht zu viele Besucher_innen da waren. Etwas später habe ich dann aber miterlebt, wie elf Innsbrucker_innen, die auch einen Solidaritätsbesuch gemacht hatten und Geschenke mit hatten, zum Teil vor der Tür gestanden sind bzw. nur abwechselnd rein durften. Einer der Refugees hat sich dafür entschuldigt und deutlich gemacht, dass ihm diese Zugangsregelung sehr leid tut. Ich habe meinerseits auch weitere Refugees gefragt und von allen einhellig vernommen, dass sie gerne möchten, dass mehr SupporterInnen gleichzeitig kommen können. Warum die Caritas da wiederholt sagt, dass die Refugees selbst diese restriktive Regelung auch haben möchten, ist mir nicht nachvollziehbar. Die beiden Mitarbeiter des Security Dienstes waren uns gegenüber sehr freundlich genauso wie die Mitarbeiter_innen der Caritas, die vor Ort waren.
Mein Resümmé
Ich bin extrem froh, dass ich gestern in der Votivkirche war. Es war intensiv, kalt und warm zugleich - und ich war entsprechend müde hinterher. Ich habe von den Refugees ganz viel bekommen. Mein über das Internet und über Gespräche gewonnenes Bild der Situation hat sich bestätigt: Die Refugees organisieren selbstbestimmt ihren Protest für Menschenrechte und es gibt viele solidarische Unterstützer_innen. Die Caritas sorgt für einen einen gewissen notwendigen Rahmen; es ist gut, dass sie vor Ort ist, auch wenn manche Regelungen in der Kirche für mich nicht nachvollziehbar und sinnvoll einsichtig sind.
Wie das alles weitergeht, weiss ich auch heute nicht. Das habe ich mir aber realistischerweise auch nicht erwartet. Es steht mir auch nicht zu, den Refugees irgendetwas raten zu wollen. Wie wohl alle mache ich mir Sorgen um die Gesundheit der Refugees wegen des Hungerstreiks - ich habe aber auch erlebt, dass sie sehr klar wissen, was sie wollen und was nicht. Sicher bin ich mir bei zwei Dingen: Die Refugees brauchen all unsere Solidarität und es braucht noch mehr politischen Druck, um endlich zu Veränderungen im in den letzten Jahren immer inhumaner gewordenen Asylsystem zu kommen. Wenigstens in der Frage des Arbeitsmarktzugangs für Asylsuchende gibt es Ansätze von Bewegung (Unterschriftenliste).
Mach was!
Ich möchte alle, denen die Refugees nicht egal sind, ermutigen was zu tun. Zuschauen und sich denken "eh schlimm" macht nichts besser.
Fahr hin und besuche Sie! Sie freuen sich und am besten geht das praktisch in kleinen Gruppen, weil es dann am einfachsten mit der Zugangsregelung zur Kirche klappt. Wenn Du was mitbringen kannst, steht da, was gebraucht wird.
Erzähl' es weiter und glaub nicht alles, was in der Zeitung und im Internet steht! Verlässliche Infoquelle ist die Website der Refugees, die Facebook-Page und vor allem für aktuelle Aktionen Twitter.
Beteiligte Dich an Solidaritätsaktionen und Protesten! Am 16.2. gibt es in Wien eine Demo, weitere Aktivitäten sind geplant. Morgen gibts in Linz ein Vernetzungstreffen in der Sache. Dabei bin ich davon überzeugt, dass der Protest der Refugees nicht nur ein politischer Lernraum sein kann, wie es ist, wenn Migrant_innen selbst als Protagonist_innen auftreten, sondern dass es auch an der Zeit ist, zu lernen, dass es unterschiedliche Formen von Solidarität geben kann und die allesamt wertvoll sind für das Anliegen der Menschenrechte der Refugees, die im übrigen unser aller Menschenrechte sind - denn entweder sind die universal oder verdienen diese Bezeichnung nicht. Mich nerven die Gebete der Solidarität lächerlich machenden Meldungen genauso wie ich es nicht verstehe, dass jemand nicht bei einer Demo mit dabei ist, weil es dort auch passieren könnte, dass wer neben einen ein Schild hochhält, wo was drauf steht, dass er_sie nicht teilt. Wer selbst ein Schild mitbringt, kann auch selbst zeigen, worum es ihm_ihr geht. Hoffnung macht mir, dass diese Bewegung auch zeigt, dass es viele Menschen gibt, denen es um Menschlichkeit geht.